Miriam Waldvogel ist selbständige Lektorin und Texterin und lebt in der Schweiz. Sie ist mir freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung gestanden und hat alle meine neugierigen Fragen rund um die Arbeit und den Quereinstieg als freie Texterin beantwortet.
Du findest Miriam auf ihrer grandiosen Webseite Die Schreibmaschine.
Doro: Liebe Miriam, erzähl doch bitte, wie es dazu gekommen ist, dass du Lektorin und Texterin geworden bist.
Miriam: Ich habe Kunstgeschichte studiert und wollte beruflich etwas mit Sprache machen. So habe ich nach dem Studium einige Praktika in Verlagen absolviert. Danach konnte ich ein Volontariat im Lektorat des Benteli-Verlags machen und bekam schliesslich eine Festanstellung als Lektorin. Die Arbeit habe ich gern gemacht und bin 6 Jahre geblieben, bis der Verlag verkauft wurde und alle Mitarbeitenden ihre Stelle verloren haben.
Nach diesen 6 Jahren hatte ich aber auch Lust, etwas anderes zu machen. Ich merkte, dass ich gerne mehr selber schreiben würde, als bloss die Texte von anderen zu prüfen.
So absolvierte ich den Texter-Lehrgang von Schreibszene Schweiz. Zwar machte ich die Prüfung am Ende des Lehrgangs nicht, weil diese nochmals einen Extra-Aufwand bedeutet hätte und ich den Ausweis gar nicht unbedingt brauchte.
Nach dem Lehrgang hast du dich dann selbständig gemacht?
Nein, bereits während dem Texter-Lehrgang arbeitete ich selbständig, vor allem als Lektorin.
Die Kontakte aus der vorherigen Verlagstätigkeit halfen mir enorm beim Einstieg in die Selbständigkeit, so dass ich keine grosse Mühe hatte, Aufträge als Lektorin zu bekommen.
Die Texter-Aufträge sind nach und nach hinzugekommen, hauptsächlich durch Kontakte mit Grafikern, die mich immer wieder einmal anfragten, ob ich für ihre Kunden texten würde.
Wie setzt sich deine Arbeit aktuell zusammen?
Etwa 30–40% Texten, 60–70% Lektorat.
Eine formale Ausbildung zur Lektorin hast du aber nie gemacht?
Nein, ich habe “on the job” gelernt. Ich kenne niemanden, der eine Ausbildung gemacht hat. Die meisten freien Lektorinnen und Lektoren haben in einem Verlag gearbeitet und sind so hineingekommen.
Ist auch ein Quereinstieg als Lektorin möglich?
Kommt darauf an, was man vorher gemacht hat. Hat jemand vorher schon mit Sprache gearbeitet, z. B. als Journalistin, geht das möglicherweise auch ohne formale Ausbildung.
Aus einem sprachfernen Beruf, wie z. B. Sozialarbeiterin, würde ich aber eine Ausbildung als Grundlage empfehlen, auch um herauszufinden, wie die Aufgaben und Abläufe sind. Also zum Beispiel, wie ein Buch gestaltet oder eine Broschüre zusammengestellt wird – ganz abgesehen von den sprachlichen Fähigkeiten, das Handwerkliche, mit der Sprache zu arbeiten.
Es geht aber eben nicht nur darum, das Sprachliche zu erlernen, sondern das Funktionieren des Berufs und der Industrie zu verstehen. Ich hatte im Verlag ja auch jemanden, der mir alle diese Abläufe zeigte.
Was hat dir der Texter-Lehrgang gebracht?
Ich würde den Lehrgang wieder machen, er war eine gute Grundlage.
Im Verlag hatte ich mit ganz anderen Texten zu tun als im Lehrgang, vor allem mit langen Texten für Bücher.
Beim Werbetexten gehts eher darum, die kurze Form zu finden. Im Lehrgang habe ich gelernt, wie man kurze Texte schreibt, dass man sich beschränken muss. Das war eine Erkenntnis, von der ich sehr profitiert habe.
Nun zur wichtigsten aller Anfänger-Fragen: wie komme ich als Neueinsteigerin zu Kunden?
Beziehungen waren und sind für mich das Wichtigste. Die meisten Aufträge kommen von bisherigen Kunden oder Bekannten aus der Verlagswelt, die mich weiterempfehlen.
Etwa 90% von meinen Aufträgen erhalte ich über Beziehungen.
Ab und zu kommt ein Auftrag direkt über meine Webseite. Aber ich bin in der luxuriösen Situation, dass ich mich nicht um diese Form von Marketing bemühen muss, ich bin genug ausgelastet.
Das ist ja der Traum von vielen! Wie gehst du also eher mit dem Gegenteil um – wenn du zu viele Aufträge hast?
Ich arbeite relativ viel, auch mal am Wochenende. Das macht mir nichts aus, ich arbeite gern und bin froh, wenns gut läuft, und lehne ungern Aufträge ab. Nein zu sagen, fällt mir zugegeben schwer – das muss man als Texterin schon auch lernen.
Aus der Angst, dass eine Flaute kommen könnte und du keine Aufträge mehr hast – oder auch darum, weil dich die Texte reizen, die du machen könntest?
Beides. Die Zukunft als Freischaffende ist halt immer unvorhersehbar. Es kann auch mal sein, dass eine Zeitlang wenig Aufträge reinkommen.
Das ist eben auch die Realität von Selbständigen. Aufträge verschieben sich, kommen später oder früher oder gar nicht.
Es ist wichtig, flexibel zu sein und die Aufträge im eigenen Kalender gekonnt zu disponieren.
Habe ich richtig verstanden, dass du praktisch kein Marketing machst, auch nicht über Social Media?
Ja, ich mache wenig – ich komme einfach nicht dazu.
Wie komme ich als Anfängerin an ein gutes Netzwerk?
Ich bin seit letztem Jahr Mitglied im Schweizer Textverband. Das hilft in der Hinsicht, dass man andere Texterinnen kennenlernt und sich austauschen kann. Leider habe ich aber wegen Corona die Leute noch nie persönlich getroffen. Ich glaube aber, dieses Netzwerk hilft nicht wirklich, um neue Aufträge zu gewinnen, sondern dient mehr dem Erfahrungsaustausch.
Mein Netzwerk habe ich mir vor allem im Verlags-Job geschaffen. Das habe ich nicht absichtlich gesteuert, es ist einfach so entstanden und kommt mir jetzt sehr zugute.
Als Neuling könntest du dich zum Beispiel bei Agenturen vorstellen. Schau, welche Agentur dir gefällt, wer gute Arbeit macht – und dann eine E-Mail schreiben, ob man einmal vorbeikommen könnte, um sich vorzustellen.
Das heisst, du würdest einfach mal googlen nach einer Agentur in deiner Nähe oder in deinem Fachgebiet?
Ja, genau, so würde ich das machen. Je nachdem, was einen mehr interessiert, Werbe- oder auch Marketing-Agenturen.
Hältst du eine Spezialisierung für notwendig, um erfolgreich zu sein als Texterin?
Ich arbeite zwar relativ viel im Kunstbereich, aber durch den Kontakt mit Grafikern und Agenturen habe ich auch ganz andere Aufträge erhalten. Ich habe z. B. für Elektrotechniker geschrieben, eine Webseite für eine Psychologin und eine für Umweltplaner getextet, ich schreibe regelmässig Broschüren für ein Heim für beeinträchtigte Menschen.
Aber als Lektorin arbeite ich vor allem mit Kulturinstitutionen, z. B. mit dem Aargauer Kunsthaus oder dem Landesmuseum Zürich.
Als Texterin arbeite ich thematisch viel breiter. Ich setze mich dann bei jedem Auftrag mit dem neuen Thema auseinander.
Das wäre ja genau der Vorteil einer Spezialisierung – dass du keine Grundlagen-Recherche mehr machen müsstest. Siehst du das nicht als Vorteil?
Nein, nicht unbedingt. Um eine Webseite für eine Elektrotechnik-Firma zu schreiben, muss ich keine Spezialisierung in Elektrotechnik haben. Ich muss vor allem ein Verständnis dafür haben, wie die Firma sich nach aussen präsentieren möchte.
Es lohnt sich auch, bei der Konkurrenz zu schauen, wie die das machen. So kannst du dir einen Überblick über die Branche verschaffen.
Die Kunden, die einen Elektrotechniker suchen, sind ja ähnlich ahnungslos wie ich, und die müssen den Text auf der Webseite verstehen. Darum schreibe ich aus der Sicht der Kunden. Was will ich wissen als Kundin? Was interessiert mich? Welche Informationen brauche ich, um diesen Elektrotechniker zu wählen?
Also ist deine Fähigkeit, dich ins Geschäft hineinzudenken relevanter, als das eigentliche Fachwissen?
Ja.
Hast du einen Fragebogen, den du deinen Kunden gibst, wenn du neu mit ihnen arbeitest?
Nein. Es ist jedes Mal wieder anders, daher führe ich das Gespräch jedes Mal neu.
Hast du vorwiegend Schweizer Kunden?
Ja.
Du arbeitest nicht als Journalistin? Artikel verkaufst du also nicht?
Nein. Ich war knapp zwei Jahre in Teilzeit bei einer Lokalzeitung angestellt, aber das war nie wirklich mein Ding, die tagesaktuelle Verarbeitung von Fakten.
Im journalistischen Bereich bin ich zu wenig drin, da müsste ich wieder bei null anfangen. Da habe ich auch zu wenige Kontakte.
Zu wie viel Prozent machst du welche Tätigkeit pro Tag? Die Texterin schreibt ja nicht nur.
Ich brauche viel Zeit für Mails, Auftragskoordination, Administratives, sicher ein bis zwei Stunden pro Tag.
Welche sind die wichtigsten Kompetenzen und Fähigkeiten als selbständige Texterin?
Flexibilität: Du musst damit umgehen können, wenn ein Kunde deine Pläne oder deine Texte umkrempelt.
Empathie: Um zu wissen, was mein Kunde wirklich möchte, wie ich seine Botschaft am besten verpacke.
Gute Texte schreiben können, ist ja klar.
Eine gewisse Neugier gegenüber der Welt und den verschiedensten Themen. Wir haben mit so vielen Feldern zu tun. Am Anfang lohnt es sich wahrscheinlich, breit aufgestellt zu sein, zu sehen, was einem passt und was weniger.
Was ist dein Tipp für Anfängerinnen?
Das Wichtigste ist: Beziehungen knüpfen, Leute kennenlernen, sich vorstellen.
Nach meiner Erfahrung musst du das persönlich machen, online reicht nicht. Der persönliche Austausch ist immer noch die Situation, die den Leuten im Kopf bleibt. Ein persönliches Gespräch, ein Gesicht, das ist nachhaltiger als ein Online-Kontakt.
Es müssen nicht unbedingt Netzwerk-Anlässe sein, sondern vielleicht Anlässe der Branche, wo sich potenzielle Kunden bewegen. Im Kunstbereich gibts zum Beispiel Vernissagen. Das ist immer ein guter Ort, um Menschen kennenzulernen, und hier bieten sich auch die Gelegenheiten, sich vorzustellen.
Du brauchst halt einfach den Mut, dich vorzustellen und dich nicht zu verstecken.
Auch mal einen CEO ansprechen und sagen, dass man gerne für seine Agentur oder Firma arbeiten möchte. Schau, ob es bei einem Bereich, der dich interessiert, Treffpunkte gibt und geh hin.
Am Anfang, wenn du noch keine Auftragstexte vorweisen kannst, lohnt es sich, Texte auf eigene Faust zu erstellen. Stell dir selber eine Aufgabe. Damit du vorweisen kannst, wie du schreibst.
Bei mir kamen die Aufträge wie gesagt vor allem über Empfehlungen – das hat mir vieles erleichtert.
Vielen Dank, liebe Miriam, für das offene und interessante Gespräch!
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